Wohin fließen die Steuermilliarden für den Umbau des Rheinischen Kohlereviers?
Vor etwa vier Jahren beschloss Deutschland mit dem „Kohleausstieg“ bis 2038 die Förderung und Verbrennung von Kohle zu beenden. Zur Umgestaltung der ehemaligen Kohleregion Rheinisches Revier sollen nun 14,8 Milliarden Euro in das Rheinland fließen. Wer von diesem Geld profitiert, darüber entscheidet die Zukunftsagentur Rheinisches Revier GmbH. Eigentlich wäre das eine staatliche Aufgabe. Die Zukunftsagentur ist jedoch eine Firma, wenn auch in staatlichem Besitz. Was für eine Zukunft wird hier geplant – und für wen?
Das wollen wir im Rahmen eines FragDenStaat-Fellowships herausfinden. In den nächsten Jahren werden sich im Rheinland die Wirtschaft und Gesellschaft stark verändern. Wenn keine Kohle mehr abgebaggert und verbrannt wird, dann steht die Region vor großen Veränderungen: Tagebaue müssen renaturiert werden, Menschen benötigen neue Arbeit und sechs gerettete Dörfer dürfen wiederbelebt werden. Diese stehen größtenteils leer, da schon mit der Umsiedlung begonnen wurde. Nur: Wer sind die Gewinner und wer die Verlierer dieses Prozesses? Wie wird entschieden, wohin die 14,8 Milliarden gehen?
Um diese Frage zu beantworten, haben wir die internen Protokolle der Zukunftsagentur Rheinisches Revier angefragt, in denen entschieden wird, welche Projekte für eine staatliche Förderung in Frage kommen sollen. Die Zukunftsagentur gibt diese Protokolle nicht heraus. Deshalb klagen wir jetzt, um klarzustellen, dass auch die Zukunftsagentur als entscheidender Akteur im Rheinischen Kohlerevier zu Transparenz verpflichtet ist.
Der Anschein von Transparenz
Die Zukunftsagentur ist zwar ein privatrechtliches Unternehmen, aber sie bewertet Projektanträge für die staatlichen Strukturwandel-Fördermittel. Diese Gelder bewilligt dann etwa die Bezirksregierung Köln. 62 Prozent der Zukunftsagentur-Unternehmensanteile gehören Landkreisen im Rheinischen Revier und der Stadt Mönchengladbach – also der öffentlichen Hand. Die zentralen Entscheidungen der Zukunftsagentur werden in ihren verschiedenen Gremien getroffen. Dort kommen Vertreter:innen der Landespolitik, der Gemeinden und Landkreise im Rheinischen Revier zusammen mit Interessenverbänden, Gewerkschaften und dem Energiekonzern RWE.
Bei der Zukunftsagentur ist man zumindest um den Anschein von Transparenz bemüht, indem man auf einer Website der Landesregierung NRW mit einer Liste auf bewilligten Projekte verweist. Diese legen die Botschaft nahe, dass wir die Klimakrise schon stoppen werden – mit nur ausreichend Technologie und zum Teil schwer nachvollziehbaren Begründungen, warum dieses oder jenes Lieblingsprojekt gut fürs Klima und den Strukturwandel sei. So wurden unter anderem für den Bau einer neuen Reit- und Volleyballhalle und den Abriss eines alten Polizeipräsidiums in Aachen 40 Millionen Euro an Strukturfördermitteln zugesagt. Vertreter:innen der Zivilgesellschaft sind skeptisch und kritisieren eine Scheinbeteiligung der Bevölkerung. Eine Studie aus dem Jahr 2023 kommt zu dem Schluss, dass Gelder auf intransparente Weise in nicht nachhaltige Projekte fließen. Unsere Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz beantwortet die Zukunftsagentur nicht.
Zuerst ging die Zukunftsagentur selbst davon aus, zur Transparenz verpflichtet zu sein. Nachdem wir die Protokolle ihrer Aufsichtsratssitzung und ihrer Gesellschafterversammlung angefragt haben, änderte sie ihre Meinung und verweigerte die Herausgabe. Sie sieht sich als privates Unternehmen und fürchtet um die Preisgabe ihrer internen Beratungen. Doch die Zukunftsagentur gehört mehrheitlich dem Staat und damit uns allen – und auch die Entscheidungen in Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung werden überwiegend von staatlichen Stellen getroffen.
Die Stadt Jüchen lädt Sitzungsprotokolle „grundsätzlich nicht herunter“
Wir haben die Protokolle auch bei den Landkreisen angefragt, die Unternehmensanteile an der Zukunftsagentur halten. Diese verwiesen allerdings auf die Zukunftsagentur und halten sich für nicht zuständig. Dadurch entsteht die paradoxe Situation, dass einige der behördlichen Anteilseigner eine andere Rechtsauffassung vertreten als die Zukunftsagentur, die ihnen ja gehört. Denn die Landkreise gehen in ihren Antworten davon aus, dass die Agentur uns gegenüber informationspflichtig ist.
Wenn sich Behörden und ein staatliches Unternehmen gegenseitig die Verantwortung zuschieben, leiden Transparenz und Rechenschaft gegenüber der Öffentlichkeit. Doch auch innerhalb der Zukunftsagentur scheinen sich nicht alle gleichermaßen für Transparenz einzusetzen.
Der Kreis Heinsberg teilte „nach ausgiebiger Recherche“ mit, dass die Protokolle in der Kreisverwaltung nicht vorhanden seien. Ebenso gab der Kreis Düren nach mehrwöchiger Suche an, dass er die Protokolle nicht finden könne. Auch die Stadt Jüchen antwortete, dass die Sitzungsprotokolle der Anrainerkonferenz der Zukunftsagentur nicht vorhanden seien: „Die Stadt Jüchen lädt diese grundsätzlich nicht herunter“.
Ob die Zukunftsagentur unsere Anfrage beantworten muss, entscheidet nun das Verwaltungsgericht Aachen. Die Klageschrift könnt ihr hier einsehen.
→ Anfrage an die Stadt Jüchen
→ Anfrage an den Kreis Heinsberg
→ Anfrage nach den Protokollen der Aufsichtsratssitzungen der Zukunftsagentur Rheinisches Revier
Rechtsanwalt Simon Simanovski, Dunckerstr. 21, 10437 Berlin Rechtsanwalt Verwaltungsgericht Aachen Simon Simanovski Postfach 10 10 51 52010 Aachen Gesellschaftsrecht Kapitalmarktrecht Per beA Öff. Wirtschaftsrecht Dunckerstr. 21 D-10437 Berlin ████ ██████ ▍ ▍ M: 0176 233 29 39 2 Berlin, 31.01.2024 KLAGE des ████████████████████ ▍████ ▍██████████████ ▍ Klägers, Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt Simon Simanovski, Dunckerstraße 21, 10437 Berlin gegen die Zukunftsagentur Rheinisches Revier GmbH, vertreten durch ihren Geschäftsführer Bodo Middeldorf, Am Brainergy Park 21, 52428 Jülich Beklagte, wegen : Anspruchs auf Informationszugang nach UIG NRW vorläufiger Gegenstandswert : 10.000,00 EUR Rechtsanwalt www.simanovski.org USt-ID: DE361677436 Simon Simanovski kanzlei@simanovski.org IBAN: DE86110101002987918706 Dunckerstr. 21, 10437 Berlin + 49 176 233 2939 2 BIC: SOBKDEBBXX
-2- Namens und in Vollmacht des Klägers erhebe ich Klage und werde beantragen, zu erken- nen: 1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die schriftlichen Protokolle ihrer Aufsichts- ratssitzungen im Zeitraum vom 01.01.2018 bis 18.08.2023 sowie, soweit sich dies nicht aus selbigen ergeben sollte, die Tagesordnungen der jeweiligen Sitzungen mit Ausnahme von schützenswerten personenbezogenen Daten und geheimhaltungsbe- dürftigen Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zugänglich zu machen. 2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die schriftlichen Protokolle ihrer Gesellschaf- terversammlungen im Zeitraum vom 01.01.2018 bis 18.08.2023 sowie, soweit sich dies nicht aus selbigen ergeben sollte, die Daten und Tagesordnungen der jeweiligen Sitzungen mit Ausnahme von schützenswerten personenbezogenen Daten und ge- heimhaltungsbedürftigen Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zugänglich zu ma- chen. 3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft darüber zu erteilen, welche weiter- gehenden Aufzeichnungen (z.B. Video- oder Tonaufzeichnungen) der Aufsichtsratssit- zungen und Gesellschafterversammlungen vorhanden sind. 4. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Vollmacht wird als Anlage K1 beigefügt. A. Sachverhalt 1. Der Kläger begehrt von der Beklagten Informationen auf Grundlage des UIG NRW. Die Beklagte ist eine GmbH, die sich in ihrem Gesellschaftsvertrag v. 05.10.2021 wie folgt beschreibt: „Die Zukunftsagentur Rheinisches Revier GmbH ist das zentrale Instrument der Region, um gemeinsam mit dem Land und dem tagebautreibenden Kon- zern den Strukturwandel im rheinischen Braunkohlerevier zu steuern. Ziel und Zweck der Gesellschaft ist es, ein konkretes und unmittelbar handlungsrele- vantes Umsetzungskonzept für den regionalen Transformationsprozess zu entwickeln und zu befördern. Die Region „Rheinisches Revier", zu der die Kreise Düren, Euskirchen, Heinsberg, der Rhein-Erft-Kreis und der Rhein- Kreis Neuss sowie die Städteregion Aachen und die Stadt Mönchengladbach gehören, ist durch die Gewinnung, Verstromung und Veredelung der Braun- kohlegeprägt. In dieser Region soll die Zukunftsagentur Rheinisches Revier
-3- GmbH für die genannten Gebietskörperschaften Aufgaben der Daseinsvor- sorge als öffentlichen Zweck dergestalt übernehmen, dass sie im Sinne einer zukunftsorientierten Wirtschaftsentwicklung in der Region wirkt. In Erfüllung dieses Zweckes entwickelt die Gesellschaft Leitbilder, Innovationsstrategien und Handlungskonzepte und unterstützt den Strukturwandel durch Initiierung und Durchführung von Projekten im Sinne einer Innovationsagentur in Abstim- mung mit den in der Region bereits tätigen regionalen und interkommunalen Entwicklungsinstitutionen. Der Gesellschaftszweck wird verwirklicht in engem Zusammenwirken der Organe der Gesellschaft mit den hierfür geeigneten Partnern aus der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Politik und den Verbänden, die innerhalb der Region tätig oder ansässig sind oder die geeignet und bereit sind, den Strukturwandel in der Region im Sinne dieses Gesellschaftszwecks aktiv zu unterstützen. Der Zweck der Gesellschaft ist nicht auf Gewinnerzie- lung ausgerichtet. Etwaige Gewinne sollen thesauriert werden.“ Satzung der Beklagten in der Fassung v. 05.10.2021, Anlage K2 Die Gesellschafter der Beklagten sind überwiegend Gebietskörperschaften. So hal- ten der Rhein-Erft Kreis, Rhein-Kreis Neuss, Kreis Heinsberg, Kreis Düren, Kreis Eiskirchen, die Städteregion Aachen, sowie die Stadt Mönchengladbach gemeinsam 62 % der Geschäftsanteile an der Gesellschaft. Gesellschafterliste der Beklagten in der Fassung v. 21.05.2021, Anlage K3 Der Aufsichtsrat der Beklagten ist als Gremium der Gesellschaft in den §§ 8 Nr. 12, 12 der Satzung vorgesehen. Gem. § 12 besteht er aus 31 Mitgliedern, die von den in der Satzung bezeichneten Körperschaften entsandt werden. Neben Vertretern der Gesellschafter der Beklagten sind im Aufsichtsrat zudem die Staatssekretäre des Ministeriums für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nord- rhein-Westfalen, des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen, des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Sozi- ales des Landes Nordrhein-Westfalen und des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen vertreten. Die aktuelle Zusammensetzung des Aufsichtsrats kann auf der Website der Beklag- ten nachvollzogen werden.1 Die Gesellschafterversammlung, auf deren Sitzungen sich der Antrag zu 2) bezieht, besteht aus 18 Mitgliedern, die von den jeweiligen Gesellschaftern entsandt werden. Ihre Aufgabe ist es, „die wesentlichen inhaltlichen Leitlinien“ sowie die „Projekte mit dem jeweiligen Eigenanteil der betroffenen Gesellschafter“ der Zukunftsagentur zu beschließen.2 1 https://www.rheinisches-revier.de/wer/zukunftsagentur/unsere-gremien/ (zuletzt abgerufen am ) 2 § 16 Abs. 2 der Satzung; Hintergrund des dort angesprochenen Eigenanteils ist, dass die aus Bun- desmitteln geförderten Strukturwandelprojekte höchstens eine Förderquote von 90% (Bundesmitteln) haben dürfen und im Übrigen aus den Mitteln der Länder/Kommunen finanziert werden müssen (vgl. §
-4- In der Praxis gestaltet sich die Tätigkeit der Beklagten wie folgt: Die Beklagte hat in Umsetzung ihres Satzungszwecks ein sog. „Wirtschafts- und Umsetzungsprogramm für das rheinische Zukunftsrevier“ erarbeitet (aktueller Stand: Juni 2021)3. Dieses Programm enthält eine Aufschlüsselung verschiedener Hand- lungsfelder und Maßnahmen, die dafür sorgen sollen, dass die Region auch in einer klimaneutralen Zukunft eine starke Wirtschaft beheimatet, die für gute Beschäftigung und lebenswerte Verhältnisse sorgt. Dieses Programm dient als Grundlage für die finanzielle Förderung von Projekten, welche das erarbeitete Zukunftsbild umsetzen sollen und wurde als solche von der Landesregierung NRW genehmigt.4 Der Förder- prozess wurde dabei in zwei Teile aufgeteilt. Im ersten Teil, dem sog. Qualifizie- rungsprozess, nimmt die Beklagte eine Beurteilung der Förderungswürdigkeit ein- zelner Projekte vor, indem sie diesen Sterne vergibt. Für die Vergabe dieser Sterne ist der Aufsichtsrat der Beklagten zuständig. Er ist eine zwingende Voraussetzung für die Förderung des jeweiligen Projekts.5 Die förmliche Bewilligung der Förderung geschieht in einem zweiten Schritt durch das Land NRW. Dieser Prozess kann eben- falls auf der Website der Beklagten nachvollzogen werden.6 2. Am 18.08.2023 beantragte der Kläger bei der Beklagten per Email den Zugang zu folgenden Informationen: - Alle Protokolle der Aufsichtsratssitzungen der Zukunftsagentur Rheinisches Revier GmbH seit 2018 sowie, soweit dies nicht aus selbigen hervorgeht, die Tagesordnungen der jeweiligen Sitzungen. - Soweit daneben noch andere Aufzeichnungen (z.B. Video- oder Ton-) vorlie- gen, bitte ich Sie um eine kurze Angabe, welche Art von Aufzeichnungen außerdem vorliegen. Am selben Tag beantragte der Kläger mit einer zweiten Email Auskunft zu den fol- genden Informationen: - Alle Protokolle der Gesellschafterversammlungen der Zukunftsagentur Rhei- nisches Revier GmbH seit 2018 sowie, soweit dies nicht aus selbigen hervor- geht, die Daten und Tagesordnungen der jeweiligen Sitzungen. 7 Abs. 1 InvKG). Diese Aufteilung der letzten 10% fällt damit unter die Zuständigkeit der Gesellschaf- terversammlung. 3 https://www.rheinisches-revier.de/wp-content/uploads/2022/04/wsp_1.1.pdf (zuletzt abgerufen am 30.01.2024). 4 Ebd., siehe den Genehmigungsvermerk auf PDF-Seite 112. 5 Vgl. die Formulierung der Beklagten auf ihrer Website: „Grundvoraussetzung für die spätere Antrag- stellung ist in allen Verfahren die Unterstützung der Vorhaben durch die Region. Diese wird durch den Aufsichtsrat der Zukunftsagentur Rheinisches Revier repräsentiert.“; https://www.rheinisches-re- vier.de/wie/foerderung/revier-gestalten/ (zuletzt abgerufen am 30.01.2024). 6 https://www.rheinisches-revier.de/wer/zukunftsagentur/unsere-aufgaben/zusammenarbeit-mit-land- und-bund/ (zuletzt abgerufen am 30.01.2024).
-5- - Soweit daneben noch andere Aufzeichnungen (z.B. Video- oder Ton-) vorlie- gen, bitte ich Sie um eine kurze Angabe, welche Art von Aufzeichnungen außerdem vorliegen. Korrespondenz zum Auskunftsbegehren v. 18.08.2023 bzgl. der Aufsichts- ratssitzungen, Anlage K4, S. 1-3. Mit Emails vom 21.08.2023 und 18.09.2023 kündigte die Beklagte an, die Anfrage und dabei insbesondere ihre Auskunftspflichtigkeit prüfen zu wollen. Sie bezog ihre Antwort dabei auf beide Anfragen des Klägers – also betreffend der Aufsichtsratssit- zungen als auch der Gesellschafterversammlungen. Auch im Weiteren Verlauf der Korrespondenz bezog die Beklagte ihre Antwortschreiben stehts auf beide Anfragen. Korrespondenz zum Auskunftsbegehren v. 18.08.2023 bzgl. der Aufsichts- ratssitzungen, Anlage K4, S. 4-11. Der Kläger wies in seinem Antwortschreiben vom 19.09.2023 darauf hin, dass die Beklagte einer Anfrage auf Grundlage des UIG NRW vom 21.06.2023 bereits nach- gekommen sei und sich daher offensichtlich selbst für informationspflichtig halte, so- dass eine weitergehende Prüfung dahingehend entfallen könne. Auskunftsbegehren v. 21.06.2023 bzgl. der Gesellschafterversammlungen, Anlage K5 Am 03.11.2023 teilte die Beklagte per Email mit, dass sie dem Auskunftsverlangen des Klägers nicht entsprechen könne. Sie unterfalle nicht dem Anwendungsbereich des UIG, da sie eine juristische Person des Privatrechts sei und auch keine öffent- lich-rechtliche Aufgabe wahrnehme, die ihr von einem Hoheitsträger übertragen wor- den sei. Ebenso wenig werde sie von Hoheitsträgern beherrscht. Die Beklagte er- klärte, sie betrachte die Anfrage des Klägers vom 18.08.2023 „hiermit als erledigt“. Korrespondenz zum Auskunftsbegehren v. 18.08.2023 bzgl. der Aufsichts- ratssitzungen, Anlage K4, S. 17-18. Am selben Tag antwortete der Kläger der Beklagten schriftlich, dass er deren Recht- auffassung nicht teile, übermittelte ihr die Rechtsauffassung des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit aus einem anderen Antragsverfahren nach dem UIG gegen die Beklagte und forderte sie zur Korrektur ihrer Rechtsauffassung auf. Korrespondenz zum Auskunftsbegehren v. 18.08.2023 bzgl. der Aufsichts- ratssitzungen, Anlage K4, S. 30-32. Darüber hinaus rief der Kläger mit Email vom selben Tag die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen an und bat um Vermitt- lung in diesem Fall.
-6- Am 23.11.2023 nahm die Landesbeauftragte hierzu Stellung und schloss sich der Rechtsauffassung des Klägers hinsichtlich der Informationspflichtigkeit der Beklag- ten an. Dahingehend verwies sie insbesondere auf die Satzung und Gesellschafter- liste der Beklagten, aus der sich die Gemeinwohlerheblichkeit ihrer Tätigkeit und ihre hoheitliche Beherrschung ergibt. Korrespondenz zum Auskunftsbegehren v. 18.08.2023 bzgl. der Aufsichts- ratssitzungen, Anlage K4, S. 44-45. Der Beklagte übersandte nur eine Eingangsbestätigung für die Email des Klägers vom 3.11.2023 und reagierte seitdem nicht mehr, sodass nunmehr Klage geboten ist. B. Rechtliche Würdigung Die als Leistungsklage statthafte Klage ist zulässig und begründet. Die Anträge zu 1) und 2) können gemeinsam verfolgt werden, da die Voraussetzun- gen der objektiven Klagehäufung (§ 44 VwGO) vorliegen. Insbesondere stehen die Klagebegehren in einem Zusammenhang zueinander. Ein ausreichender Zusam- menhang ist immer dann zu bejahen, wenn weitgehend die gleichen Sachverhalts- fragen und/oder die gleichen Rechtsfragen zu klären sind. - Schoch/Schneider/Buchheister, 44. EL März 2023, VwGO § 44 Rn. 7. So liegt es hier. Es handelt sich um Informationen zu zwei Gremien der selben Ge- sellschaft, deren Tätigkeit weitestgehend parallel zueinander verläuft. Abweichun- gen bei der rechtlichen Bewertung beider Anträge ergeben sich ebenfalls nicht. 1. Zulässigkeit Die Klage ist zulässig. Der Verwaltungsrechtsweg ist aufgrund der aufdrängenden Sonderzuweisung in § 3 Abs.1 UIG NRW eröffnet. Die Klage ist als Leistungsklage statthaft, da sie sich gegen eine nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 UIG NRW informationspflichtige Stelle des Privatrechts richtet, die nicht mit der Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten ausgestattet worden ist. Nach der Recht- sprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur wortgleichen Regelung in § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG ist für informationspflichtige juristische Personen des Privatrechts in diesen Fällen die Leistungsklage statthaft. - BVerwG, Urt. v. 23.02.2017, 7 C 31.15, Rn. 22.
-7- Das angerufene Gericht ist daher nach § 52 Nr. 5 VwGO örtlich zuständig. Ein Vorverfahren war vorliegend nicht zu durchlaufen. § 3 Abs. 2 UIG NRW schreibt ein solches nur für informationspflichtige Stellen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UIG NRW vor. Vorliegend ist die Beklagte als juristische Person des Privatrechts nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UIG NRW informationspflichtig. 2. Begründetheit Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf das Zugänglich- machen der begehrten Informationen. Dieser ergibt sich vorrangig aus § 2 S. 1 UIG NRW, jedenfalls aus § 4 Abs. 1 IFG NRW. 2.1 Anwendbarkeit des UIG Der Anwendungsbereich des UIG NRW ist eröffnet, weil dem Auskunftsbegehren Umweltinformationen im Sinne des § 3 Abs. 1 UIG i.V.m. § 2 S. 3 UIG NRW zugrun- deliegen. Hiernach sind Umweltinformationen alle Daten über Maßnahmen oder Tätigkeiten, die sich auf Umweltbestandteile im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG auswirken oder wahrscheinlich auswirken; außerdem Daten über Maßnahmen oder Tätigkeiten, die den Schutz solcher Umweltbestandteile bezwecken. Der Begriff der Umweltinformationen ist nach st. Rspr. mit Blick auf die Zielsetzung des Gesetzes, einen erweiterten Zugang der Öffentlichkeit zu umweltbezogenen In- formationen sicherzustellen und in Übereinstimmung mit der Richtlinie 2003/4/EG vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen weit aus- zulegen. - EuGH, Urteil v. 17.06.1998, C-321/96; BVerwG, Urteil v. 21.02. 2008, 4 C 13/07; Umweltinformationsrichtlinie, ABl. EU L 41 vom 14. Februar 2003, S. 26. Dabei genügt nach oberverwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung, die vom Bundes- verwaltungsgericht bestätigt wurde, bereits die Möglichkeit, dass eine hoheitliche Maßnahme oder Tätigkeit mittelbar auf umweltwirksame Vorhaben oder Projekte von Dritten einwirkt, um dahingehende Informationen dem Anwendungsbereich des § 2 Abs. 3 Nr. 3 UIG zu unterwerfen. - VGH Mannheim, Urteil v. 29.06.2017, 10 S 436/15; BVerwG, Urteil v. 22.03.2022, 10 C 2.21.
-8- So liegt es hier. Zunächst soll auf die Umweltwirksamkeit der Tätigkeit der Beklagten eingegangen werden, sodann auf die umweltbezogene Zielrichtung. 2.1.1 § 2 Abs. 3 Nr. 3 lit. a) UIG – Umweltauswirkung der Tätigkeit Die Tätigkeit der Beklagten, und spezieller die Tätigkeit des Aufsichtsrats und der Gesellschafterversammlung, wirkt sich zumindest mittelbar auf Umweltbestandteile aus. Wie unter A.1 ausgeführt, identifiziert der Aufsichtsrat förderwürdige Projekte, die anschließend aus Landesmitteln finanziert werden. Soweit die Beklagte darauf abstellen möchte, dass nicht sie, sondern das Land NRW die abschließende Entscheidung über die Mittelvergabe trifft, so überzeugt dies nicht. Mit dieser künstlichen Aufspaltung eines einheitlichen Sachverhalts versucht die Beklagte zu verschleiern, dass sie die Entscheidung über die Mittelvergabe maß- geblich beeinflusst. Dies wird bereits daraus ersichtlich, dass die Staatsekretäre der Landesministerien im Aufsichtsrat vertreten sind, die anschließend auch die formelle Bewilligung der Mittel verantworten. Insofern ähnelt der Sachverhalt einem Verfahren vor dem VG Düsseldorf, welches die Einstufung von Gesprächsunterlagen in Vorbereitung eines Treffens des Minis- terpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem Vorstandsvorsitzenden von Uniper SE als Umweltinformationen betraf. Das Gericht hat diese Eigenschaft als gegeben angesehen und darauf verwiesen, dass „[…] Bewertungen, Vorschläge und Handlungsempfehlungen der Fachebene vor dem Hintergrund des weiten Verständnisses der Umweltinformationen zu letzteren […] zählen. Denn diese Impulse seitens der Fachebene waren darauf angelegt, einen nicht unerheblichen Beitrag zur Positionierung der Führung der Staatskanzlei zu klimapolitischen Fragestellungen zu leisten und stellen daher eine mögliche Grundlage für eigene klimarelevante Maßnahmen der Landesre- gierung dar.“ - VG Düsseldorf, Urteil v. 20.01.2023, 29 K 4407/20 Zumindest so liegt es auch bei den Empfehlungen des Aufsichtsrats der Beklagten an die Landesregierung, auch wenn im vorliegenden Fall von einer deutlich ausge- prägteren Vorgreiflichkeit seiner Tätigkeit auszugehen ist. Die vom Aufsichtsrat zur Förderung zugelassen (oder dahingehend diskutierten) Projekte haben mit Blick auf die aktuell laufenden Qualifizierungsverfahren unter
-9- dem Förderprogramm REVIER.GESTALTEN auch einen eindeutigen Umweltbe- zug.7 Hier nur ein Auszug der Projekte: - „Leichtgewicht Photovoltaik-Dächer aus dem Rheinischen Revier“ - „Floating Photovoltaik“ - „Mönchengladbach untersucht Tiefengeothermie: Potenziale und Bedarfe der Erdwärme zur Bewältigung des Strukturwandels im Oberzentrum des Reviers“ - „Transformation des Shell Energy and Chemicals Park Rheinland“ - „Mikrowellenplasma gestützte Dekarbonisierung vorhandener Energieträger für die CO2-freie Wasserstoffherstellung“ - „Agroforstsysteme als Zukunftstechnologien für eine nachhaltige Landwirtschaft“ Diese Projekte zielen ausdrücklich (siehe hierfür die Projektbeschreibung in dem un- ter Fn. 5 verlinkten Dokument) auf die Dekarbonisierung der Energie- und Wirt- schaftsstruktur im Rheinischen Revier ab und wirken sich mithin auf den Umweltbe- standteil „Atmosphäre“ aus. Es unterfallen aber nicht lediglich die Protokollteile dem Umweltinformationsbegriff, die sich mit den oben genannten Projekten auseinandersetzen, sondern auch dieje- nigen, die allgemeine Ausführungen zur strategischen Ausrichtung der Beklagten enthalten, da diese wiederum ihre Umgangsweise mit einzelnen umweltrelevanten Projektanträgen beeinflusst. Dies entspricht den Maßstäben des BVerwG, wonach sich die (wahrscheinliche) Um- weltauswirkung auch über mehrere Vermittlungsstufen vollziehen kann. - BVerwG, Urt. v. 22.03.2022, 10 C 2.21, Rn. 16. Selbiges gilt für die Tätigkeit der Gesellschafterversammlung. Diese legt ausweislich des § 16 Abs. 2 der Satzung die wesentlichen Leitlinien der inhaltlichen Arbeit der Beklagten fest und beeinflusst damit den Prozess der Projektförderung maßgeblich. Ebenso ist es Aufgabe der Gesellschafterversammlung die von den Gesellschaftern zu tragenden Eigenbeiträge zu verteilen; also den Teil der Projektförderung, der von den Gebietskörperschaften selbst getragen werden muss. Hintergrund dieses Vor- gangs ist § 7 Abs. 1 Investitionsgesetz Kohleregionen (InvKG), wonach die Förder- quote des Bundes für investitionsfähige Projekte bis zu 90% beträgt und 10% von den Ländern bzw. Kommunen getragen werden müssen. Die Erbringung der Eigen- beträge ist daher eine zwingende Voraussetzung für das Zustandekommen einer Projektförderung. 2.1.2 § 2 Abs. 3 Nr. 3 lit. b) UIG – Tätigkeit zielt auf Umweltschutz ab 7 https://www.rheinisches-revier.de/wp-content/uploads/2023/09/20230913_REVIER.GESTAL- TEN_Gesamtliste_final.pdf (zuletzt abgerufen am 30.01.2024).
- 10 - Gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 b) UIG sind Umweltinformationen auch Daten zu Maßnah- men oder Tätigkeiten, die den Schutz von Umweltbestandteilen bezwecken. Die Beklagte arbeitet auf Grundlage verschiedener politischer Einigungen, Konzepte und nicht zuletzt ihrer Satzung, die allesamt – zumindest auch – dem Schutz von Umweltbestandteilen dienen. Damit steht ihre gesamte Tätigkeit im Dienste dieses Schutzzwecks (etwas anderes wäre ihr gesellschaftsrechtlich auch verwehrt, vgl. § 43 GmbhG i.V.m. § 82 Abs. 2 AktG und hierzu BGH NJW 2013, 1958, Rn. 16). - Diesem Argumentationsaufbau folgend: VG Berlin, Urt. v. 18.12.2023, VG 2 K 181/22, welches die Herausgabe aller Unterlagen zur gesamten Aktivität einer Stiftung mit Blick auf ihren Satzungszweck angeordnet hat.8 Der Schutzzweck ergibt sich zum einen aus der Satzung der Beklagten. Dort heißt es in der Präambel, dass das Rheinische Revier durch die Gewinnung, Verstromung und Veredelung der Braunkohle geprägt sei und es die Aufgabe der Beklagten sei, in dieser Region den Transformationsprozess weg von der braunkohlebasierten Wirtschaft zu gestalten und zu fördern. Diese alternative Wirtschaft, so die Prämisse der Satzung, zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht kohlebasiert ist und somit zu niedrigeren CO2-Emissionen führt. Dieser Schutzweck wird im Wirtschafts- und Umsetzungsprogramm für das rheini- sche Zukunftsrevier9 explizit gemacht. Dort formuliert die Beklagte die Vision ihrer Tätigkeit: „Im Jahr 2038 wird das Rheinische Revier die Region in Europa sein, in der die Ziele des Europäischen Green Deal am konsequentesten umgesetzt wurden. Es hat nur zwei Jahrzehnte gedauert, bis sich der alte Braunkoh- lestandort zu einer Region entwickelt hat, in der die Industrie ganz ohne Energie aus Erdöl, Erdgas oder anderen nicht erneuerbaren Energiequellen auskommt. Die Region wirtschaftet und lebt nahezu klimaneutral. Die Ener- gieversorgung ist sicher und bezahlbar und sie stammt aus erneuerbaren Quellen. Die energieintensive Industrie hat sich durch intelligente Speziali- sierung an die Weltspitze grüner Technologien gesetzt.“ Unschädlich für den Schutzzweck „Umwelt“ ist es, dass die Tätigkeit der Beklagten auch auf wirtschaftliche Entwicklung abzielt. Aus dem UIG ergibt sich nicht, dass der Zweck des Umweltschutzes nur dann gegeben ist, wenn er der einzige einer Tätig- keit oder Maßnahme ist. Im Genehmigungshinweis der Landesregierung NRW zum Wirtschafts- und Umset- zungsprogramm heißt es weiterhin: 8 Unveröffentlicht, eine Zusammenfassung findet sich unter https://www.lto.de/recht/hintergru- ende/h/nordstream-nord-stream-2-bund-bwmk-schwesig-mv-stiftung-bild-klimastiftung-uig-ifg/ (zuletzt abgerufen am 30.01.2024). 9 Siehe Rn. 2, PDF-Seite 6.